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Quelle: Verwaltungsrundschau 5/2000

Plädoyer für die Aufhebung des Friedhofszwangs
bei Feuerbestattungen

Dr. jur. Tade Matthias Spranger,
wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bonn

 

I. Einleitung

In der Bundesrepublik Deutschland besteht de facto und de iure Friedhofszwang. Bestattungen haben danach grundsätzlich auf öffentlichen Bestattungsplätzen, also auf kommunalen oder kirchlichen Friedhöfen zu erfolgen1. Die in den entsprechenden Landesfriedhofs- und Bestattungsgesetzen meist explizit vorgesehene Ausnahmemöglichkeit der Beisetzung auf einem privaten Bestattungsplatz2 weist regelmäßig derart enge tatbestandliche Voraussetzungen auf, dass sie in der Praxis keinerlei Rolle spielt3. Der Friedhofszwang besteht nicht nur für den früher vorherrschenden Fall der Erdbestattung, sondern nach bislang nahezu unbestrittener Ansicht auch für Feuerbestattungen, respektive Urnenbegräbnisse. Bundesverwaltungs-4 und Bundesverfassungsgericht5 haben diese Handhabung vor mehr als 20 Jahren als rechtmäßig erachtet. Die herrschende Lehre schloß sich dieser Einschätzung rasch an6. Mittlerweile haben sich jedoch die gesellschaftlichen und tatsächlichen Verhältnisse derart rapide geändert, dass eine erneute Bewertung der Problematik dringend angezeigt ist.
 

II. Zur Argumentation der herrschenden Meinung

Gegen die Möglichkeit einer anderweitigen Verfügung über die Urne und für den Friedhofszwang werden regelmäßig vier Argumente vorgebracht7. Zunächst wird darauf hingewiesen, dass eine Bestattung der Urne auf öffentlichen Bestattungsplätzen aus hygienischen Gründen angezeigt sei8. Darüber hinaus müßte das sittliche Gefühl weiter Bevölkerungskreise Berücksichtigung finden; von Aschenresten oder Urnenbegräbnissen auf Nachbargrundstücken könnten jedoch nachteilige psychische Ausstrahlungswirkungen ausgehen9. Darauf, dass die mehrheitliche gefühlsmäßige Abneigung  gegen die private Beisetzung  menschlicher Asche von einem rationalen Standpunkt aus als unvernünftig zu bezeichnen sei, komme es hingegen nicht an10. Ferner würden Belange der Strafrechtspflege für die derzeitige Handhabung sprechen. Schließlich seien die Wahrung der Totenruhe, bzw. die pietätvolle Behandlung des Toten gefährdet, wenn die Asche eines Verstorbenen in der Wohnung aufbewahrt werde11. Keiner dieser Aspekte vermag – zumindest aus heutiger Sicht – zu überzeugen. Hygienische Bedenken sind schlichtweg unbegründet. Von der Asche eines Verstorbenen gehen aufgrund der bei der Einäscherung herrschenden hohen Verbrennungstemperaturen keinerlei gesundheitliche Risiken, etwa durch Krankheitserreger oder sonstige Keime, aus. Daher ist es auch ohne weiteres zulässig, etwa die Asche eines kremierten Haustieres mit nach Hause zu nehmen. Auf diese Möglichkeit wird mittlerweile in den einschlägigen Publikationen sowie im Internet umfassend hingewiesen. Damit entfällt das überzeugendste Argument für eine Beibehaltung der überkommenen Handhabung. Zwingende hygienische Gründe dienen dem Schutz der Volksgesundheit und verfolgen damit ein legitimes und zudem gewichtiges Ziel. Würden unter hygienischen Gesichtspunkten tatsächlich Bedenken gegenüber einer Aufbewahrung der Urne außerhalb des Friedhofes bestehen, wäre der Friedhofszwang zweifelsohne gerechtfertigt. Da sich dieses Argument jedoch als Trugschluß erwiesen hat, kommt es nun im weiteren auf die rechtlich nur schwer faßbaren Aspekte des sittlichen Gefühls und der Pietät an.

Was das sittliche Empfinden weiter Bevölkerungskreise, bzw. die “Gefühlswelt der Bürger”12 angeht, so ist auf diesem Gebiet seit einigen Jahren ein rapider Wandel festzustellen. Offensichtlich inspiriert durch die freiheitliche Bestattungskultur der meisten europäischen Nachbarstaaten aber auch der USA, weht hier ein frischer Wind durch eine Materie, die sich sonst durch ein spezifisches Beharrungsvermögen13 auszeichnet. Medienpräsent sind jüngst nicht nur bunte Särge in jeglichen Formen, sondern auch umweltverträgliche14 - da verrottbare - Urnen, Grabsteine mit eingebauten Lautsprechern, Beerdigungen im Weltall, diverse Formen der Seebestattung uvm. Allgemein ist insoweit zu attestieren, dass der bislang als verkrampft zu bezeichnende Umgang mit dem Tod eine gewisse Auflockerung durch diese umfassende Darstellung in der Öffentlichkeit erfahren hat. Die breite Auseinandersetzung führt dazu, dass die Thematik ihren vermeintlichen Schrecken zu einem guten Teil eingebüßt hat. Bereits dieser Umstand deutet darauf hin, dass die Bevölkerungsmehrheit - wenn sie denn gefragt werden würde 15 - den Friedhofszwang für Urnen nicht weiter fordert. Allgemein bekannt und in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung ist zudem das Phänomen einer zunehmenden Anonymisierung weiter Kreise der Gesellschaft. Sogar in der ländlichen oder dörflichen Gemeinschaft sind Zusammenhalt und Zusammengehörigkeitsgefühl nicht mehr annähernd so stark ausgeprägt wie noch vor wenigen Jahrzehnten. Diese Auflösungstendenzen zeigen sich in ungleich stärkerem Maße auf städtischer oder gar großstädtischer Ebene. Insoweit erscheint es mehr als fraglich, dass sich heute noch jemand ernsthaft dafür interessiert, ob in der Nachbarwohnung eine Urne aufbewahrt wird oder nicht. Zum Argument einer nachteiligen Tangierung der “Gefühlswelt der Bürger” gilt es somit festzuhalten: welche Einstellungen zu der vorliegenden Thematik in der Bevölkerung herrschen, ist bislang an keiner Stelle hinreichend untersucht worden. Anderslautende Darstellungen in Rechtsprechung und Literatur entbehren jeder Grundlage. Angesichts der zunehmenden Enttabuisierung des Themas Tod kann jedoch davon ausgegangen werden, dass eine negative Beeinträchtigung der “Gefühlswelt der Bürger” heute nicht mehr zu befürchten ist.

Auch das Argument der Wahrung der Totenruhe und der pietätvollen Behandlung steht einer Aufhebung des Friedhofszwangs für Urnen nicht entgegen. Die mit strafrechtlichen Sanktionen bewehrte Totenruhe (§ 168 StGB) resultiert nach herrschender Meinung aus Gründen der Pietät, der Würde des Toten und dem sittlichen Empfinden der Allgemeinheit, sowie dem Wesen des Friedhofs als einer Stätte der Totenruhe und der Totenehrung16. Diese Herleitung erweist sich in weiten Zügen bereits als zirkulär und kann schon deshalb nicht überzeugen. Die pietätvolle Behandlung des menschlichen Leichnams ist - ebenso wie die Totenruhe - Ausfluß der postmortalen Geltung menschlicher Würde17. Pietät und Totenruhe sind daher größtenteils deckungsgleich. Gänzlich tautologisch wird die Argumentation, wenn die Totenruhe als “Resultat des Friedhofs als Stätte der Totenruhe” gewertet wird. Darüber hinaus werden die Ruhe und Beschaulichkeit des Bestattungsplatzes bei privater Bestattung, bzw. Verbringung der Urne nach Hause ohnehin von vornherein nicht tangiert. Damit verbleibt lediglich die Würde des menschlichen Leichnams als mögliche rechtliche Grundlage der Totenruhe. Eine Verletzung dieses Schutzgutes kann jedoch nur für den Fall angenommen werden, dass die Hinterbliebenen die Asche des Verstorbenen gegen dessen ausdrücklichen oder vermeintlichen Willen nicht auf einem öffentlichen Bestattungsplatz beisetzen lassen. Insofern könnte man eine Verletzung der Pflicht zur schicklichen Beerdigung18 annehmen. Hat der Verstorbene hingegen noch zu Lebzeiten selbst den Wunsch geäußert, beispielsweise auf einem Privatgrundstück beigesetzt zu werden, so wird Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG mit Sicherheit nicht verletzt, wenn diesem Wunsch auch entsprochen wird. Ganz im Gegenteil befolgen die Hinterbliebenen insoweit lediglich die allgemein anerkannte Pflicht19 , den letzten Wunsch des Verstorbenen hinsichtlich Art und Ort der Bestattung zu beachten. Damit steht auf jeden Fall fest, dass es keine Vermutung für eine grundsätzliche Verletzung der Menschenwürde durch die Aufhebung des Friedhofszwangs für Urnen gibt.


III. Erfordernisse der Strafrechtspflege

Die Aufhebung des Friedhofszwangs bei Feuerbestattungen würde zwei grundsätzliche Optionen eröffnen, wie mit der Urne im weiteren verfahren wird. Entweder käme eine Beisetzung auf Privatgelände oder eine Aushändigung der Urne an die Hinterbliebenen in Betracht. Die letztgenannte Möglichkeit birgt jedoch unter dem Aspekt der Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege besondere Probleme in sich, die eine gesonderte Erörterung erfordern. Schon bei Schaffung des FBG wurde das Erfordernis einer später gegebenenfalls erforderlich werdenden Untersuchung der Asche aus Gründen der Strafverfolgung gesehen. Die

Dr. Tade Spranger,
Uni Bonn

Aushändigung der Asche an die Hinterbliebenen sollte demzufolge - angesichts der Gefahr der Vernichtung von Beweismitteln - unzulässig sein20. Tatsächlich wird mit der Feuerbestattung ein irreparabler Zustand geschaffen, der, abgesehen vom Fall der anorganischen Gifte, nachträgliche Feststellungen über die Todesart und -ursache regelmäßig nicht mehr zulässt21. Die neueren Friedhofs- und Bestattungsgesetze haben dieses Risiko erkannt und entsprechende Regelungen getroffen. So knüpft beispielsweise § 8 Abs. 1 Nr. 2 der bayerischen Bestattungsverordnung (BestV) die Zulassung der Feuerbestattung an die Voraussetzung, dass die für den Sterbeort zuständige Polizeidienststelle bestätigt hat, dass ihr keine Anhaltspunkte für einen unnatürlichen Tod bekannt sind. Art. 5 S. 1 des bayerischen Bestattungsgesetzes (BestG) bestimmt ergänzend, dass mit Aschenresten Verstorbener nur so verfahren werden darf, dass keine Gefahren für die Belange der Strafrechtspflege zu befürchten sind22. Bezogen auf die vorliegend interessierende Frage ist insoweit festzuhalten, dass § 8 Abs. 1 Nr. 2 BestV durch eine Aufhebung des Friedhofszwangs für Urnen jedenfalls nicht tangiert werden würde. Aber auch Art. 5 S. 1 BestG kann nur schwerlich als absoluter Hinderungsgrund für eine Beibehaltung des status quo gewertet werden. Dies zeigt bereits die durch das Änderungsgesetz vom 10.8.1994 in Art. 1 Abs. 1 S. 1 BestG aufgenommene Bestattungsart der Seebestattung23, also die Beisetzung der Urne von einem Schiff auf hoher See. Auch wenn die mit der Seebestattung beauftragte Reederei der Behörde, welche die Seebestattung zugelassen hat, unverzüglich einen beglaubigten Auszug aus dem Schiffstagebuch (mit Kartenskizze) zustellen muß, aus dem der Zeitpunkt sowie die geographische Länge und Breite des Standorts des Schiffes bei der Beisetzung ersichtlich sind24, wird den ermittelnden Behörden jede Möglichkeit einer nachträglichen Untersuchung genommen. Die Versenkung auf hoher See bewirkt durch Strömung und andere natürliche Einflüsse, dass die von der Reederei übermittelten Daten schon nach kurzer Zeit vollkommen wertlos sind. Offensichtlich wird demnach im Falle der Seebestattung der Wille des Verstorbenen als so bedeutsam erachtet (vgl. auch Art. 12 Abs. 1 S. 3 BestG), dass Art. 5 S. 1 BestG insoweit zurückstehen muß. Gründe, die für eine abweichende - strengere - Handhabung im Falle der Aufbewahrung einer Urne im häuslichen Bereich sprechen, sind nicht ersichtlich. Schreibt das Landesrecht - wie etwa in Nordrhein-Westfalen25 - auch noch vor, dass die zur Seebestattung verwendeten Urnen aus einem Material hergestellt sein müssen, das sich im Seewasser auflöst, so wird das Argument der “Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege” gänzlich ad absurdum geführt.


IV. Argumente finanzieller Art

Fragen des Friedhofs- und Bestattungsrechts sind zu einem großen Teil geprägt durch finanzielle Erwägungen. Nicht nur der Hinterbliebene läßt sich bei der Ausrichtung des Begräbnisses oftmals durch Kostenfragen leiten, auch für die Bestattungsunternehmen und die Kommunen handelt es sich hierbei um einen zentralen Gesichtspunkt. Insgesamt werden in diesem Bereich in der Bundesrepublik jährlich etwa 16 Milliarden DM umgesetzt. Auch wenn kommunale Bestattungsplätze offiziell nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind, spielen die Urnenbegräbnisse für die Kommunen in wirtschaftlicher Hinsicht eine immense Bedeutung. Berücksichtigt man, dass ein Urnengrab um ein vielfaches kleiner ist als ein “normales” Erdbegräbnis und zudem nahezu keiner Pflege bedarf, erweisen sich die kommunalen Friedhofsgebühren als unverhältnismäßig hoch. Besonders interessant ist dieser Umstand auch deshalb, weil die Feuerbestattung schon seit einigen Jahren die traditionelle Form der Erdbestattung zu einem erheblichen Teil verdrängt hat26. Den Kommunen eröffnet sich daher die Möglichkeit, die Urnenbegräbnisse zumindest zur Gegenfinanzierung weniger rentabler Bereiche der Friedhofsverwaltung zu nutzen. In Zeiten zunehmender Finanznot in allen Bereichen der öffentlichen Hand kommt den Urnenbegräbnissen somit auch eine nicht zu unterschätzende finanzielle Bedeutung zu, die entsprechenden Widerstand von kommunaler Seite gegen eine Aufhebung des Friedhofszwangs für Urnen erwarten läßt. Einen sachlichen Grund für die Beschränkung bürgerlicher Freiheiten im grundrechtsrelevanten Bereich27 können derartige Erwägungen jedoch selbstverständlich nicht abgeben. Ganz im Gegenteil: Das Kostendeckungsprinzip überschreitende Gebühren für die Feuerbestattung sind grundsätzlich auch dann unzulässig, wenn die dadurch entstehenden Überschüsse für eine Senkung der Gebühren der Erdbestattung eingesetzt werden28. Das Kostendeckungsprinzip wird dabei verletzt, wenn die Gebühren von vornherein so festgesetzt werden, dass nicht nur geringfügige Überschüsse erzielt werden29.


V. Die Rechtsposition der Betroffenen

Waren die möglichen Argumente für eine Beibehaltung des Friedhofszwangs schwerpunktmäßig Gegenstand der bisherigen Ausführungen, so gilt es im folgenden, die etwaigen Rechte der Betroffenen darzustellen. Üblicherweise wird das Recht eines Menschen, Verfügungen über die Art und den Ort seiner Bestattung zu treffen, auf die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG zurückgeführt30. Unabhängig davon, dass diese Sichtweise ohnehin viel zu kurz greift31 , betrifft das Recht zur Bestimmung der Bestattungsart aber sowieso nur die Wahl zwischen Erd- und Feuerbestattung, nicht aber die Festlegung des weiteren Umgangs mit der Urne. Die Beschränkung auf Art. 2 Abs. 1 GG erweist sich noch nicht einmal dann als zureichend, wenn es um die rechtliche Stellung der Hinterbliebenen geht. Ebensogut könnte etwa Art. 6 GG zu berücksichtigen sein, aus dem mitunter ein familienrechtliches Verfügungsrecht der Hinterblieben über den Leichnam abgeleitet wird. Da ein solches Verfügungsrecht jedoch immer unter dem Vorbehalt dessen steht, was der Verstorbene selbst noch zu Lebzeiten geäußert hat, soll das Hauptaugenmerk den Rechten des Verstorbenen gelten.

Wie die Befürworter des Friedhofszwangs für Urnen selbst anführen, handelt es sich bei der Würde des Toten um ein allgemein anerkanntes, verfassungsrechtlich in Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG verankertes Schutzgut32. Es stellt sich hier die Frage, warum einerseits bei Aufhebung des Friedhofszwangs für Urnen eine Verletzung dieser postmortalen Würde drohen soll, wenn andererseits bei eindeutiger Mißachtung der noch zu Lebzeiten geäußerten Wünsche des Verstorbenen angeblich eine verfassungskonforme Handhabung vorliegt.


VI. Ergebnis und Ausblick

Die bislang für eine Begründung des Friedhofszwangs für Urnen vorgebrachten Argumente vermögen zumindest aus heutiger Sicht nicht mehr zu überzeugen. Von besonderem Interesse ist insoweit auch, dass das Bundesverwaltungsgericht die Möglichkeit einer Änderung der Auffassungen in Bezug auf Bestattungsformen - und infolgedessen die Möglichkeit einer Modifizierung der rechtlichen Handhabung - ausdrücklich in Erwägung gezogen hat. Vor mehr als 20 Jahren erkannte der Senat, dass der Wunsch nach einer individuellen, von der Üblichkeit abweichenden Bestattungsart der Allgemeinheit “derzeit” nicht zu eigen sein dürfte33 . Ebensogut könne sich auch eine andere, großzügigere Verfahrensweise als angemessen erweisen34. Da dieser Zeitpunkt nun gekommen ist, sollten sich Rechtsprechung und Praxis auf die geänderten Rahmenbedingungen besinnen und ihre Handhabung dementsprechend anpassen.


1       Gaedke, Handbuch des Friedhofs- und Bestattungsrechts, 8. Aufl. 2000, S. 20.
         Zum  “gewohnheitsrechtlichen Friedhofszwang” in Niedersachsen:
         OVG Lüneburg, NdsVBl 1994, 40.

2       Hierzu: U. Kahler, NVwZ 1983, 662 f.

3       Vgl. auch: von Jacobs, Der öffentlich-rechtliche Benutzungszwang in der 
         Verwaltungsordnung, 1963, S. 95. Anders wohl noch die Intention des - weitergehenden -
         § 9 Abs. 3 Feuerbestattungsgesetz (FBG v. 15. 5. 1934, RGBl. I S. 380).
         Vgl. hierzu W. Kahler, Das Reichsgesetz über die Feuerbestattung, 1935, § 9 Anm. 3.

4       BVerwGE 45, 224 ff.

5       BVerfGE 50, 256 ff.

6        Gaedke, Städte- und Gemeindebund 1974, 305 ff. m. w. N.; Wolff/Bachof/Stober ,
        
Verwaltungsrecht II, 5. Aufl. 1987, § 99 Rdnr. 18 m. w. N.; Klingshirn, Bestattungsrecht in
         Bayern, Stand: Oktober 1995, Erl. VI, Rn. 6; Gaedke, Handbuch des Friedhofs- und
         Bestattungsrechts, 8. Aufl. 2000, S. 20.

7       Der Hinweis auf planungsrechtliche Probleme im Falle der Zulassung von Bestattungen auf
         Privatgrundstücken (hierzu: Gaedke, Der Städtebund 1972, 252 (253)) spielt in diesem
         Zusammenhang keine Rolle. Die Aufhebung des Friedhofszwangs für Urnen würde zwar zur
         Aufbewahrung der Urnen im Privatbereich, aber nicht zur Bestattung auf Privatgrundstücken 
         führen.

8       Grasser, BayVBl. 1972, 291 ff.

9        BVerwGE 45, 224 (229 f.). Ebenso: Gaedke, Städte- und Gemeindebund 1974, 305 (306);
         Bongartz, Ihr Recht auf dem Friedhof, 1995, S. 57. Vgl. auch Gaedke, Der Städtebund 1972,
         252 (253).

10      BVerwGE 45, 224 (230); Gaedke, Städte- und Gemeindebund 1974, 305 (306).

11      W. Kahler, Das Reichsgesetz über die Feuerbestattung, 1935, § 9 Anm. 3; Bongartz, Ihr
         Recht auf dem Friedhof, 1995, S. 57; Gaedke, Handbuch des Friedhofs- und
         Bestattungsrechts, 8. Aufl. 2000, S. 247.

12      So BVerwGE 45, 224 (230).

13      Battis, GewArch 1982, 145.

14      Zur abfallrechtlichen Kollisionsproblematik auf Friedhöfen:
Spranger, NuR 1998, 185 ff .

15      Auf zwei Gesichtspunkte ist in diesem Zusammenhang allgemein hinzuweisen: Zum einen
         fehlt es seit jeher an verläßlichen und vor allem nachprüfbaren
Aussagen zur Einstellung der
        
Bevölkerung hinsichtlich derartiger Fragen. Die Aussagen insbesondere des
         Bundesverwaltungsgerichts sind auch insoweit zu kritisieren. Zum anderen führt die einseitige
         Ausrichtung auf die Mehrheitsanschauungen zu einer übermäßigen Beschränkung des
         verfassungsrechtlich gebotenen Minderheitenschutzes.

16      Seeger, Bestattungsrecht in Baden-Württemberg, 2. Aufl. 1984, S. 113.

17      Vgl. allgemein: Spranger, VBIBW 1998, 454 ff.

18      So ausdrücklich Art. 149 I der Bayrischen Verfassung;
         hierzu auch: Grasser, BayVBl. 1972, 291 (292).

19       Siehe nur: HessStGH, DÖV 1068 693 (694). Vgl. auch § 2 Abs. 1 FBG.

20      W. Kahler, Das Reichsgesetz über die Feuerbestattung, 1935, § 9 Anm. 3.

21      Klingshirn, Bestattungsrecht in Bayern, Stand: Oktober 1995, VI, Rdnr. 9.
         Die Untersuchung der Asche ist also ohnehin nur in wenigen Ausnahmen von Interesse.

22      Den Belangen der Strafrechtspflege wird folglich umfassend Rechnung getragen; vgl.
         BayVerfGH, BayVBl 1996, 626.

23       Umfassend: Klingshirn, Bestattungsrecht in Bayern, Stand: Januar 1996/Oktober 1998, Erl.
         XVII, Rdnr. 19 ff.

24      Gaedke, Handbuch des Friedhofs- und Bestattungsrechts, 8. Aufl. 2000, S. 246.

25      Nr. 3 des Gemeinsamen Runderlasses des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales
         und des Innenministers vom 19. 10. 1978 in der Fassung vom 26. 9. 1980 (MBl. S. 1778 bzw.
         2244) und vom 24. 6. 1981 (MBl. S. 1457).

26      Vgl. auch die entsprechenden Ergebnisse einer Umfrage des Deutschen Städtetages, Der
         Städtetag 1996, 783 f.

27       Umfassend zu den verschiedenen Aspekten der Grundrechtstangierung im Bereich des
         Friedhofs- und Bestattungswesens: Spranger,
Die Beschränkungen des kommunalen
        
Satzungsgebers beim Erlass von Vorschriften zur Grabgestaltung, 1999

28      BayVerfGH, BayVBl 1996, 626 (628).

29       BayVerfGH, BayVBl 1996, 626 (628) m. w. N.

30      BVerfGE 50, 256 (262); BVerwGE 45, 224 (226); VGH Baden-Württemberg, VBlBW 1990,
         142 f.; BayVGH, BayVBl 1991, 205 (206).

31      Spranger, Die Beschränkungen des kommunalen Satzungsgebers beim Erlass von
         Vorschriften zur Grabgestaltung, 1999, S. 89 ff.

32      Allgemein zur postmortalen Menschenwürde: BVerfGE 30, 173 (194); BayVerfGH, BayVBl
         1996, 626.

33      BVerwGE 45, 224 (228).

34      BVerwGE 45, 224 (229).

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