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Quelle: MedR 1999, Heft 5

Dr. jur. Tade Matthias Spranger

Die ungenehmigte Verfügung der Krankenhäuser
über Fehlgeborene

 

I. Problemaufriß: Zur derzeitigen Handhabung durch die Krankenhäuser

Die Tot- oder Fehlgeburt als ungewolltes Ende einer Schwangerschaft stellt für einen Großteil der betroffenen Eltern eine schwere seelische Belastung dar. Dabei mischt sich in das Gefühl der Trauer um das verlorene Kind häufig auch hilflose Wut, sobald die Eltern erfahren, was mit ihrem Kind nach der Geburt geschehen ist. Fehlgeborene werden vom Chefarzt der gynäkologischen Abteilung oder dem Leiter der Pathologie1 oftmals unmittelbar nach dem Geburtsvorgang an medizinische Einrichtungen zur Vornahme experimenteller Handlungen übergeben, ohne daß eine entsprechende Einwilligung der Eltern vorliegt2. Spätestens nach Durchführung dieser Experimente wird das Fehlgeborene dann gemeinsam mit Krankenhausmüll verbrannt3. Obwohl sich die Frage nach einer hinreichenden Ermächtigungsgrundlage oder einem ausreichenden Rechtfertigungsgrund für den Eingriff in die betroffenen Eltern- und Kindesrechte nahezu zwangsläufig stellt, ist die Thematik wissenschaftlich bislang nur rudimentär aufbereitet worden4. Soweit ersichtlich, fehlt es auch an jeglichen Judikaten, die auf das Problem auch nur am Rande eingehen. Dies mag damit zusammenhängen, daß sich bei den Betroffenen schnell die Erkenntnis durchsetzt, an der vollzogenen Entsorgung” des Fehlgeborenen ohnehin nichts mehr ändern zu können. Vergegenwärtigt man sich die heftigen Auseinandersetzungen um die Frage nach der Würde des ungeborenen Lebens5 oder um die Thematik der Verfügung über Organe Verstorbener, so kann die fehlende Durchdringung der rechtlichen Stellung Fehlgeborener nur als unbefriedigend empfunden werden. Die vorliegende Untersuchung ist bemüht, die bestehenden Lücken zu schließen.

II. ,,Entsorgung” und Menschenwürde des Fehlgeborenen

Die Entsorgung von Fehlgeburten als Sondermüll und deren vorangegangene Nutzung für experimentale Zwecke muß sich bereits vor dem Hintergrund der verfassungs- rechtlich verbürgten Positionen des Kindes selbst bewerten lassen. Ansatzpunkt einer fundierten rechtlichen Betrachtung dieser Praxis ist die in Art. 1 I GG garantierte Menschenwürde. Der praktizierte Umgang mit Fehlgeborenen legt den Schluß nahe, daß diesen durch die handelnden Personen offensichtlich keine menschliche Würde beigemessen wird. Diese eher als ,,Parallelwertung in der Laiensphäre‘ zu erachtende Sichtweise entspricht jedoch keineswegs den rechtlichen Rahmenbedingungen, wie sie durch das Bundesverfassungsgericht umrissen worden sind. Ein Fehlgeborenes vereint zwar die extremsten Konstellationen der Grundrechtsträgerschaft in einem Subjekt, ist aber dennoch als Träger menschlicher Würde einzuordnen. Als problematisch erweist sich zum einen, ob auch dem noch nicht voll entwickelten menschlichen Leben bereits die über Art. 1 I GG garantierte Würde zukommt, zum anderen, ob sodann auch das verstorbene Lebewesen noch den verfassungs- rechtlichen Schutz genießt. Der somit der Klärung bedürftige erste Teilaspekt ist vor allem im Rahmen der Diskussion um die Reform des § 218 StGB ausführlichst erörtert worden. Eine umfassende Wiedergabe der Auseinandersetzung und der in ihrem Verlauf vorgebrachten Argumente würde zweifelsohne den gebotenen Umfang der vorliegenden Untersuchung sprengen. Zumindest in groben Zügen dürften die Grundpositionen aber auch bekannt sein, so daß sich eine extensive Darstellung insoweit ohnehin erübrigt. Die relevante Leitlinie für die Praxis ergibt sich auch Weniger aus akademischen Streitigkeiten auf verfassungsrechtlichem Terrain als vielmehr aus der bindenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die sich in dieser Frage als vollkommen eindeutig erweist. Die Grundrechtsträgerschaft des Menschen beginnt demnach bereits mit der Befruchtung der Eizelle7, spätestens jedoch mit der Nidation Auch das sich entwickelnde Leben nimmt an dem Schutz teil, den Art. 1 I 2 GG der Menschenwürde gewährt; denn wo menschliches Leben existiert, kommt ihm auch Menschenwürde zu9.

Als entscheidendes Argument für diese Ansicht kann angeführt werden, daß in Anbetracht der rasanten biowissenschaftlichen Entwicklung und der hiermit einhergehenden vielfältigen Gefährdungspotentiale der Grundrechtsträgerkreis notgedrungen weit und umfassend zu verstehen ist, damit auf diesem Wege die nötigen normativen Antworten auf aktuelle und potentielle Gefährdungen menschlicher Existenz gegeben werden können10. Da aufgrund des heute erreichten geburtshilflich- neonatologischen Standards zahlreiche extrem unreife, intensivtherapeutisch unter- stützte, aber durchaus überlebensfähige Frühgeborene mit einem Gewicht um 500 Gramm geboren werden11, würde der Grundrechtsschutz anderenfalls auch von bloßen Zufälligkeiten abhängig gemacht werden. Menschlichem Leben kommt damit auch im Entwicklungsstadium einer Frühgeburt unzweifelhaft menschliche Würde zu.

Mit dem Eintritt des Todes ist dieser einmal entstandene Würdeschutz auch nicht wieder erloschen. Das Bundesverfassungsgericht hat diesbezüglich schon mehrfach darauf hingewiesen, daß die Würde des Menschen auch über den Tod hinauswirke12. Dabei ist es nicht von Relevanz, ob man eine unmittelbare postmortale Grundrechts- geltung für gegeben erachtet, also den Verstorbenen selbst als Grundrechtsträger ansieht, oder vielmehr von einer aus der Menschenwürde resultierenden Pflicht der Lebenden zur Beachtung bestimmter Pietätsvorstellungen ausgeht13. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang einzig und allein, daß die menschliche Würde über den Tod hinauswirkt mit der Folge, daß auch beim Umgang mit einer Fehlgeburt dieser zentrale Verfassungsgrundsatz zu beachten ist. Steht die Anwendbarkeit des Art. 1 I GG auf ein Fehlgeborenes fest14, so kann an einer Verletzung der Würdegarantie nicht ernsthaft gezweifelt werden15 . Die Herabstufung eines Zuordnungssubjekts menschlicher Würde zu bloßem Abfall, die Entsorgung als Sondermüll oder seine Vernichtung in einer Müllverbrennungsanlage sprengt jegliche Grenzen des noch Hinnehmbaren16. Wo menschliche Würde existiert, muß diese auch Beachtung finden. Die Einordnung der menschlichen Leiche gleich welchen Entwicklungsstadiums als Sondermüll entspricht diesen Anforderungen jedenfalls nicht. Da die verfassungsrechtliche Rechtfertigung eines Eingriffs in die Menschenwürde aufgrund verfassungsdogmatischer Erwägungen nicht möglich ist, kann die gängige Praxis nur als rechtswidrig eingestuft werden. Als geeignete Form einer angemessenen Bestattung Fehlgeborener würde sich die Einäscherung in einem kommunalen Krematorium und die daran anschließende Bestattung auf einem anonymen Gräberfeld anbieten. Ergänzend bleibt vor diesem Hintergrund darauf hinzuweisen, daß die mit Wirkung vom 1. 7. 1998 in Kraft getretene personenstandsrechtliche Möglichkeit einer Namensgebung für Totgeburten vom Gesetzgeber bedauerlicherweise17 nicht zum Anlaß genommen worden ist, sich zugleich für der mangelhaft ausgestalteten Rechtsposition der Fehlgeborenen auseinanderzusetzen.

III. Das elterliche Verfügungsrecht und die Fürsorgepflicht

Neben der soeben behandelten Problematik der Verletzung originärer Rechte des Kindes selbst sind im weiteren subjektive Positionen der Eltern Gegenstand der Untersuchung. Die herrschende Meinung geht allgemein von einem aus dem Familienrecht als ganzem herrührenden, dem Zivilrecht zugeordneten Verfügungsrecht der Angehörigen18 aus, dessen zentrale Befugnis darin bestehe, den Leichnam angemessen zu bestatten19. Bei der Veranlassung der Bestattung des Verstorbenen handelt es sich sogar um eine aus der Totenfürsorge resultierende Pflicht20. Die Frage nach der verfassungsrechtlich zu verortenden Grundlage dieser im Zivilrecht angesiedelten Thematik wird nicht eindeutig beantwortet. Mitunter wird die Auflassung vertreten, daß eine formlose Beseitigung von Fehlgeburten ohne Wissen der Eltern gegen das in Art. 6 GG garantierte Elternrecht verstoße, welches auch bereits die Fürsorge für das totgeborene Kind umfasse und ein Verfügungsrecht über den Leichnam einschließe21. Es findet sich aber auch die Ansicht, daß die Totenfürsorge als über Art. 2 I GG geschützte Nachwirkung des familienrechtlichen Verhältnisses zu begreifen sei22. Für die vorliegend interessierende Frage ist eine abschließende Klärung des verfasssungsrechtlichen Anknüpfungspunktes allerdings entbehrlich. Von entscheidender Bedeutung ist allein, daß eine selbständig neben dem Recht auf Totenehrung stehende, verfassungsrechtlich verankerte23 Pflicht zur Totenfürsorge zu apostrophieren ist, welche es den Hinterbliebenen zur Pflicht macht, den verstorbenen Angehörigen zu bestatten. Warum diese Pflicht oberhalb von 500 Gramm Körpergewicht24 — also im Falle der Totgeburten — bestehen soll, unterhalb dieser Gewichtsgrenze — also bei Fehlgeburten — jedoch nicht, kann mit rationellen Argumenten nicht begründet werden. Es handelt sich offenbar um die nicht bedachte Konsequenz der vollkommen unbesehenen Übertragung personenstandsrechtlicher Maßstäbe. Diese in der Verordnung zur Ausführung des Personenstandsgesetzes (PStV) einfachrechtlich ausgestalteten Gewichtsgrenzen können aber keine Auswirkungen auf den Schutzumfang verfassungsrechtlich verankerter Garantien haben. Dem stehen bereits der Vorrang des Gesetzes sowie das allgemein anerkannte Verbot der Definition verfassungsrechtlicher Termini anband einfachen Gesetzesrechts entgegen. Besteht folglich die Pflicht zur Bestattung auch bei Fehlgeborenen, so darf den Angehörigen die Erfüllung dieser Pflicht nicht durch Entziehung des Leichnams unmöglich gemacht werden.

Löst man sich von der rein verfassungsrechtlichen Betrachtungsweise, so erlangt ein weiterer Aspekt erhebliche Bedeutung. Aus dem absoluten — also gegenüber jedermann geltenden25 — Familienrecht resultiert auch ein Recht zum Besitz am Leichnam. Als dessen Inhaber können die Eltern einer Fehlgeburt daher die Herausgabe des Leichnams von jedem Dritten verlangen, der ihnen diesen widerrechtlich vorenthält26. Durch die ungenehmigte Nutzung” des Fehlgeborenen wird in das Besitzrecht der Eltern ungerechtfertigterweise eingegriffen. Daß auch die Eltern mit der Leiche nicht nach Belieben, sondern nur unter Beachtung der Grundsätze der Pietät verfahren können27, ist in diesem Zusammenhang ohne Belang. Auch soweit einige Landesfriedhofs- und Bestattungsgesetze die Bestimmung enthalten, daß Fehlgeburten unverzüglich hygienisch einwandfrei und dem sittlichen Empfinden entsprechend zu beseitigen sind, soweit und solange sie nicht medizinischen oder wissenschaftlichen Zwecken dienen28, kann dieser Formulierung keine hinreichende Ermächtigungsgrundlage oder Rechtfertigung zugunsten der Krankenhäuser entnommen werden. Schon der Wortlaut der genannten Vorschriften hat keinen Gestattungscharakrer, sondern geht statt dessen nur von einer bereits vorgefundenen Praxis aus. Darüber hinaus mag es sich bei der gemeinsamen Entsorgung mit Krankenhausabfall zwar unstreitig um eine Form der Beseitigung handeln. Dem sittlichen Empfinden entspricht diese Vorgehensweise aber unter keinen Umständen. Aufgrund der bereits getroffenen Feststellungen muß zudem in Zweifel gezogen werden, ob die genannten landesrechtlichen Vorschriften mit der Menschenwürde des Kindes sowie den elterlichen Rechten vereinbar und damit überhaupt verfassungs- konform sind. Ferner kann aus dem Umstand, daß sich einige Landesgesetzgeber offenkundig der Existenz medizinischer oder wissenschaftlicher Untersuchungen an Fehlgeborenen bewußt waren, nicht automatisch auf die Zulässigkeit derartiger Maßnahmen geschlossen werden. Hierbei würde es sich unzweifelhaft um einen unzulässigen Rückschluß von der tatsächlichen Handhabung auf die Befugnis handeln. Fraglich ist schließlich die generelle Anwendbarkeit des Abfallrechts auf Fehlgeburten29. Nur operativ entfernte Teile des menschlichen Körpers sind regelmäßig Abfälle, wohingegen die Behandlung des toten menschlichen Körpers von vornherein nicht dem Abfallgesetz unterfällt30. Zu einer Einordnung als Abfall im Rechtssinne gelangt man also nur dann, wenn man die Fehlgeburt nicht als menschlichen Korpus qualifiziert. Wertungswidersprüche eröffnen sich in diesem Fall jedoch schon insoweit, als sogar menschlicher Kot und Urin von der Praxis nicht als Abfall im Sinne des Gesetzes behandelt werden31. Die Anwendung des Abfallrechts auf Fehlgeburten scheidet vor diesem Hintergrund aus.

Damit steht fest, daß auch das familienrechtliche Besitzrecht am Leichnam einer Verfügungsbefugnis der Krankenhäuser entgegensteht. Ergänzend sei in diesem Zusammenhang noch auf das Erfordernis eines subjektiven Bestattungsanspruchs der Eltern auch für Fehlgeborene hingewiesen. Bereits vor geraumer Zeit wurde auf bundespolitischer Ebene gefordert32, daß dem Wunsch betroffener Eltern nach der Bestattung eines vor oder in der Geburt verstorbenen Kindes künftig in jedem Fall nachgekommen werden sollte. Da Menschenwürde und allgemeine Handlungsfreiheit nach bislang unbestrittener Auffassung ein Recht der Hinterbliebenen auf Einräumung einer hinreichenden Möglichkeit zur Ehrung des Verstorbenen gewährleisten und das zentrale Element dieses gegen den Friedhofsträger gerichteten Anspruchs in der Anlage und Pflege einer Grabstätte besteht33, sollte den betroffenen Angehörigen in den einschlägigen Friedhofs- und Bestattungsgesetzen endlich eine entsprechende subjektive Position eingeräumt werden34. Auch unter diesem Gesichtspunkt erweisen sich Wegnahme 35 und Entsorgung der Fehlgeburt ohne Einwilligung der Eltern als unhaltbar.

IV. Zu den Grundsätzen der elterlichen Einwilligung

Aufgrund der bisherigen Ausführungen kann es als gesichert erachtet werden, daß die derzeitige Praxis der Krankenhäuser jedenfalls dann gegen Eltern- und Kindesrechte verstößt, wenn die entsprechenden Handlungen ohne Einwilligung der Eltern vorgenommen werden. Im folgenden soll daher untersucht werden, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Einwilligung der Eltern möglich ist und welche rechtlichen Konsequenzen diese zeitigt. Ist Für den Fall postmortaler Organentnahmen grundsätzlich anerkannt, daß diese nur mit Einwilligung des später Verstorbenen oder der Angehörigen zulässig sind36, so stellt sich die Frage nach der uneingeschränkten Übertragbarkeit dieses Erfordernisses auf die vorliegend interessierende Problematik der Entsorgung von Fehlgeburten. Während nämlich nach erfolgter Organentnahrne bei einem erwachsenen Verstorbenen jedenfalls eine Feuer- oder Erdbestattung erfolgt, der verfassungsrechtlichen Pflicht zur Totenfürsorge also dem Grunde nach entsprochen wird, ist dies nach Vornahme der entsprechenden Experimente an der Fehlgeburt nicht der Fall. Selbst wenn sich folglich die Eltern mit der Wegnahme der Fehlgeburt durch das Krankenhauspersonal einverstanden erklärt haben, so muß immer noch sichergestellt bleiben, daß es letztlich nicht zur Entsorgung als Abfall kommt. Dies gilt im übrigen schon deshalb, weil die durch die Entsorgung verletzte Menschenwürde des Fehlgeborenen weder der Dispositionsfreiheit der Eltern unterliegt noch per se verzichtbar ist37. Die Vornahme experimenteller Handlungen selbst darf hingegen mit Einwilligung der Eltern erfolgen, wobei das ,,Stillhalten” der Eltern nicht nur in den ersten Tagen nach der Geburt38, sondern generell nicht als Rechtsverzicht gedeutet werden kann. Das bloße Schweigen ist grundsätzlich keine Willenserklärung, sondern das genaue Gegenteil39. Auch die besondere Konstellation des ,,beredten Schweigens” wird regelmäßig nicht gegeben sein. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit sowie der späteren Beweisbarkeit40 sollte daher von seiten des Krankenhauses auf einer schriftlichen Einverständniserklärung der Eltern bestanden werden. Zu berücksichtigen gilt es in diesem Kontext ferner, daß die meisten Eltern über die mit dem Tod des Fehlgeborenen einhergehenden Rechte und Pflichten allenfalls rudimentär unterrichtet sind41. Man wird aus diesem Grund von einer ent- sprechenden Hinweis- und Belehrungspflicht der Krankenhäuser ausgehen müssen, deren Befolgung unabdingbare Voraussetzung eines rechtswirksamen Verzichts ist.

V. Keine Übertragbarkeit der Ergebnisse auf Totgeburten

Die bisherigen Erörterungen sind ausschließlich auf Fehlgeburten beschränkt und lassen sich nicht etwa auch auf Totgeburten übertragen. Die Ursache für diese Trennung ist im Personenstandsrecht sowie in den einschlägigen Friedhofs- und Bestattungsgesetzen der Länder zu suchen. § 29 1, II der Verordnung zur Ausführung des Personenstandsgesetzes (PStV) definiert eine Leibesfrucht dann als Totgeburt, wenn sich nach der Scheidung vom Mutterleib keine Lebenszeichen — Herzschlag, Pulsieren der Nabelschnur. natürliche Lungenatmung — gezeigt haben, das Gewicht der Leibesfrucht jedoch mindestens 500 Gramm beträgt. Nach § 29 III PStV ist die Frucht eine Fehlgeburt, wenn sich keines der Lebensmerkmale gezeigt hat und das Gewicht der Leibesfrucht weniger als 500 Gramm beträgt. Sofern die einschlägigen landesrechtlichen Friedhofs- und Bestattungsgesetze die Thematik explizit aufgreifen. ist diese Unterscheidung übernommen worden42. Totgeborene gelten demnach stets als menschliche Leiche und unterliegen somit der Bestattungspflicht43. Unterfallen aber Totgeburten als menschliche Leiche der Bestattungspflicht, werden sie der Verfügung durch das Krankenhaus entzogen. Anderenfalls könnte der für die Vornahme der Bestattung gesetzte enge zeitliche Rahmen44 auch kaum eingehalten werden. Hingegen sind Fehlgeburten, die nach herrschender Meinung nicht als menschliche Leiche gelten45 und demzufolge auch nicht bestattet werden müssen, aufgrund dieses Umstandes bislang dem nahezu ungehinderten Zugriff durch die Krankenhäuser ausgesetzt.

VI. Konsequenz

Fehlgeburten unterliegen unzweifelhaft dem elterlichen Verfügungsrecht. Die derzeitige Handhabung, Fehlgeborene ohne Einwilligung der Eltern zu experimentalen Zwecken zu nutzen, erweist sich daher als rechtswidrig. Ebensowenig, wie postmortale Organentnahmen ohne Einwilligung des später Verstorbenen oder der Angehörigen zulässig sind, dürfen Fehlgeburten ohne weiteres zu experimentellen Versuchen genutzt werden. Erfolgt eine rechtswirksame Einwilligung der Eltern, so muß dennoch sichergestellt bleiben, daß das Fehlgeborene nach Vornahme der Experimente nicht als Abfall entsorgt wird. Die bislang praktizierte gemeinsame Verbrennung von Fehlgeburten mit Krankenhausabfall ist offenkundig unvereinbar mit fundamentalen Prinzipien des Verfassungsrechts. Nach der insoweit eindeutigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt jeder Form menschlichen Lebens Menschenwürde zu, die mit Eintritt des Todes auch bestimmte nachfolgende, also postmortale Wirkungen zeitigt. Die Beseitigung eines menschlichen Leichnams als Abfall widerspricht dem Menschenwürdeprinzip in eklatanter Weise. Daß es sich bei der Fehlgeburt personenstandsrechtlich nicht um eine menschliche Leiche handelt, ist für diese verfassungsrechtlich ausgerichtete Sichtweise ohne jeglichen Belang.
________________________________________________________
 
 1)  Sternberg=Lieben, NJW 1987, 2062.

  2)  Sternberg=Lieben, NJW 1987, 2062.

  3)  Karl,, NJW 1988, 2286, 2287; Rheinischer Merkur v. 9. 11. 1990, abgedruckt in: Das 
       Bestattungsgewerbe 1991, 75 f.; Donau-Kurier v. 11. 2. 1991, abgedruckt in: Das 
       Bestattungsgewerbe 1991, 156; StoIlwerk=Brauers, DFK 1994, 33.

  4)   Auch Rixen. FamRZ 1994, 417, 425, deutet die Problematik nur

  5)   Hierzu im folgenden.

  6)   Statt vieler: Kübler, Verfassungsrechtliche Aspekte der Organentnahme zu
        Transplantationszwecken, 1977; Maurer, DCV 1980, 7 ff.; Schmidt=Didczuhn ZRP 1991, 264 ff.; .
        Nickel,
MedR 1995, 139 ff.; Walter, FamRZ 1998, 201 ff.

  7)   Spann, Justitia und die Ärzte, 1979, S. 14; Seifert/Höming Grundgesetz, 5. Aufl. 1995, Art. 1,    
        Rdnr. 17; Graf Vitzthum, MedR 1985, 252.

  8)   BVerfGE 39, 1, 37; BVerfGE 88, 203, 252.

  9)   BVerfGE 39, 1, 41; BVerfGE 88, 203, 252.

10)   Höflin, in; Sachs (Hrsg.). Grundgesetz 1996, Art. 1, Rdnr. 50.

11)   Rixen,, FamRZ 1994, 417.

12)   Vgl. BVerfGE 30, 173, 194. Dem folgt auch die h. M..; vgl. nur Schmidt=Didczuhn, ZRP 1991,
        264, 265; Kunig, in: von Münch/Kunig (Hrg.), Grundgesetz, Bd. 1, 4. Aufl. 1992, Art. 1, Rdnr. 15;
        Jarras, in: ders. /Pieroth, Grundgesetz, 4. Aufl. 1997, Art. 1, Rdnr. 5: Zippelius (1994), in: Bonner
        Kommentar, Art. 1, Rdnr. 53; Model/Müller, Grundgesetz, 11. Aufl. 1996, Art. 1, Rdnr. 6: Tröndle,
       
Kommentar zum StGB, 48. Aufl. 1997, § 168, Rdnr. 2; Spranger, Sozialrecht und Praxis 1997,
        691, 692.

13)   Vgl. auch Höfling, in: Sachs (Hrsg.) (Fn. 10), Art. 1, Rdnr. 54: Spranger , Das Bestattungsgewerbe
        1997, 689 ff.; ders., ZfSH/SGB 1998, 95 ff.

14)   So i. E. auch Rixen, FamRZ 1994, 417, 42(1.

15)   A. A. offensichtiich Koch, NJW 1988, 2286, 2287.

16)   So bereits Spranger, Die Beschränkungen des kommunalen Satzungsgebers beim Erlaß von
        Vorschriften zur Grabgestaltung, zugl. Diss. Bonn 1997.

17)   So auch die Einschätzung der Vertreter von Elterninitiativen, vgl. Pforzheimer Zeitung v. 28. 4.
        1998, S. 3.

18)   Zur Möglichkeit, die Totenfürsorge auf jemanden zu übertragen. der nicht zum Kreis der an sich
        dazu befugten Angehörigen zählt: BGH, FamRZ 1992, 657 ff.

19)   RGZ 154, 269, 271: Seeger , Bestattungsrecht in Baden-Württemberg. 2 Aufl. 1986, S. 96:
        Widmann, FamRZ 1988, 351; , Z Schmidt=Didczuhn ZRP 1991, 264, 266. Gaedke, Handbuch
        des Friedhofs- und Bestattungsrechts, 6. Aufl. 1992, S. 120: Widmann, FamRZ 1992, 759 6;
        Schlüter, in: Erman, BGB. 9. Aufl. 1993, § 1968, Rdnr. 2; Bongartz, Ihr Recht auf dem Friedhof
         1995, S. 46: Klingshirn, Bestattungsrecht in Bayern, Erl. VI (Stand: Oktober 1995), Rdnr. 14a.

20)   So Kießling NJW 1969, 533, 537; Westermann, FamRZ 1973, 614. 616: Bongartz (Fn. 19), S. 46.

21)   So eine Rundverfügung der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover, vgl. Sperling, DFK
        1985, 296. Ebenso Schmidt=Didczuhn, ZRP 1991, 264, 266.

22)   Nickel, MedR 1995, 139, 143; Klingshirn (Fn. 19), Ed. VI, Rdnr. 14a.

23)   Diesen verfassungsrechtlichen Charakter verkennt Rixen, FamRZ 1994, 417, 421, der lediglich von
        einer landesrechtlich normierten Bestattungspflicht aus gesundheitspolizeilichen Gründen
        ausgeht.

24)   Vgl. zur personenstandsrechtlichen Unterscheidung zwischen Tot- und Fehlgeburten die folgenden
        Ausführungen unter V.

25)   Vgl. allgemein Bassenge, in: Palandt, Kommentar zum BGB, 57.Aufl. 1998, vor f 854, Rdnr. 3.

26)   Gaedke (Fn. 19), S. 118; Bongarzt (Fn. 19), S.52; Edenhofer, in: Palandt (Fn. 25), vor § 1922,
        Rdnr. 9.

27)   Seeger (Fn. 19), S. 97.

28)   § 30 II des baden-württembergischen Bestattungsgesetzes; Art. 6 III des bayerischen
        Bestattungsgesetzes; § 10 II 1 des hamburgischen Gesetzes über das Leichen-, Bestattungs-
        und Friedhofwesen.

29)   Rixen, FamRZ 1994, 417, 421, dortige Fn. 71. A. A. Kadi, NJW 1988, 2286, 2287.

30)   Kloepfer, Umweltrecht, 1989, § 12, Rdnr. 40; Hösel/r. Lersner, Recht der Abfallbeseitigung, Stand:
        Februar 1998, § 1 AbfG, Rdnr. 4.

31)    Hösel/r. Lersner (Fn. 30), § 1 AbfG, Rdnr. 4.

32)   Vgl. Bundesministerin Claudia Nolte, in: Welt ans Sonntag v. 18. 4. 1993.

33)   Spranger, Sozialrecht und Praxis 1997, 691 ff.; ders., ZFSH/SGB 1998, 334, 335 f

34)   Vgl. auch Spranger (Fn. 16), passim. Offenbar a. A.: Koch, NJW 1988, 2286, 2287.

35)    Hier nicht abschließend im Sinne des § 242 I StGB verwendet.

36)    Kießling, NJW 1969, 533, 537; Westermann, FamRZ 1973, 614, 616; Gaedke (Fn. 9), S. 140;
         Nickel, MedR 1995, 139, 143 ff; Murswiek, in: Sachs (Hrsg.) )Fn. 10), Art. 2, Rdnr. 207; Tröndle
       
(Fn. 12), § 168, Rdnr. 4. Differenzierend: Schmidt=Didczuhn, ZRP 1991, 264. 265. Zum
        Einwilligungserfordernis nach dem neuen Transplantationsgesetz (TPG): Bahn; FamRZ 1998, 201 ff.

37)   Hierzu: Höfling in: Sachs (Hrsg.) (Fn. 10), Art. 1, Rdnr. 48.

38)   So aber Rixen, FamRZ 1994, 417, 423, dortige Fn. 132.

39)   Hefermehl, in: Soergel, Kommentar zum BGB, Band 1, 12. Aufl. 1987, vor 5116, Rdnr. 32;
        Heinrichs, in: Palassds (Fn. 25), Einf vor § 116, Rdnr. 7.

40)   Vgl. zu entsprechenden Schwierigkeiten im Geltungsbereich des TPG: Walser, FamRZ 1998,
        2 (11, 206.

41)   Rixen, FamRZ 1994, 417, 425, dortige Fu. 132.

42)   Art. 6 I des bayerischen Bestattungsgesetzes; § 9 I des sächsischen Gesetzes über das
        Friedhofs-, Leichen- und Bestattungswesen (Sächsisches Bestattungsgesetz). Hierzu auch
        Werther/Gipp, Friedhofs- und Bestattungsrechts in Rheinland-Pfalz, 1984, S. 16 f; Seege  (Fss.
        19), S. 79 f.

43)   So etwa §§ 9 I 3 Nr. 2, 18 I 1 des sächsischen Bestattungsgesetzes. Unzutreffend insoweit KreIs,
        NJW 1988, 2286, 2287, der bestattungsrechtlich nicht zwischen Tot- und Fehlgeburten
        differenziert.

44)    Vgl. etwa § 4 I der ordnungsbehördlichen Verordnung über das Leichenwesen in Nordrhein-
         Westfalen, wonach jede Leiche innerhalb von 120 Stunden bestattet werden muß.

45)    Es wird sogar in Abrede gestellt, daß für die Bestattung Fehlgeborener überhaupt ein Bedürfnis
         besteht, vgl. Koch, NJW 1988, 2286, 2287; Ullmann , FamRZ 1991, 898, 901, dortige Fn. 27;
         ders., NJW 1994, 1575; Klingshirn (Fn. 19), Erl. I, Rdnr. 4. Kritisch hierzu: Spranger (Fn. 16).
 

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